"Beat the tiger"

Julia und ich hatten uns Großes vorgenommen: Alle fünfzehn Englischlehrer unserer Schule hatten wir für Mittwoch zum Kennenlern-Dinner in unsere Wohnung eingeladen. Gulasch mit Kartoffeln und Salat sollte es geben, außerdem Kuchen und Muffins mit deutschem Tee. 


Mit diesen hehren Vorsätzen war der Grundstein gelegt für jede Menge verrückter kleiner Pannen, die irgendwie typisch sind für unser Leben hier im Moment.

Nachdem wir am Wochenende den Ofen auf Hochglanz poliert und drei Stück Butter à 227 Gramm für 90 Yuan (ungefähr dreizehn Euro) eingekauft hatten, fiel uns auf, dass wir weder Litermaß noch Wage besaßen. Es wurde also nach Gefühl gebacken. Ein bisschen Kopfzerbrechen bereitete uns dabei eine weiße Masse, die wir auf dem Markt erstanden hatten. War es Backpulver? Puderzucker? Mehl? Eine rätselhafte chinesische Zutat?

Wir behandelten es wie Mehl, und es funktionierte – der Kuchen war gut essbar.

Am Dienstag wollten wir das Gulasch vorkochen. Im Supermarkt hatten wir zwei Kilo Rinderfleisch gekauft. Das sah ungefähr so aus, als hätte der Schlachter ein Rind gehäutet und einfach ein großes Stück aus der Mitte herausgeschnitten – inklusive Knochen, Fett und allem anderen. Im Gulaschrezept stand außerdem Wein. Den hatten wir auch – leider war aber der Korkenzieher abgebrochen. Wie also sollten wir die Flasche öffnen? Wir befragten das Internet. (Rückblickend war das natürlich ein fataler Fehler.) Zeit Online behauptete, man könne den Korken „mit einem stiftähnlichem Gegenstand wie einem Kochlöffel“ „in die Flasche hineindrücken“. Da wir so viele Essstäbchen besaßen, schlugen wir also mit einem Hammer ein Essstäbchen in den Korken – und durch den Korken durch. Der saß nämlich immer noch an Ort und Stelle.

Unter fachkundiger Anleitung von Julias Eltern (großen Dank) schlugen wir schließlich noch ein weiteres Essstäbchen in den Korken, bis dieser tatsächlich in die Flasche gedrückt worden war. Damit stand dann unserer Kochaktion eigentlich nichts mehr im Wege.

Als die ersten Gäste bei uns im Office eintrudelten, waren Julia und ich fertig mit den Vorbereitungen. Wir besaßen zwar kein Feuerzeug, aber das Teelicht auf dem Tisch war auch unangezündet gut als Deko-Element zu gebrauchen.

In China ist es üblich, bei einer Einladung Gastgeschenke mitzubringen. Wir bekamen frisches Obst in rauen Mengen – Weintrauben, Mandarinen und Äpfel. Eine wirklich schöne Sitte, finde ich!

Am Anfang plätscherte das Gespräch bei Tisch so dahin. Zum Glück konnte man sich auf das Essen konzentrieren! Und zum Glück war Mr. Liu Senior da. Der war früher Englischlehrer, ist jetzt aber für den Drucker, den Kopierer und die Papiervorräte zuständig und lebt nach dem Motto „The more, the better“ –  sowohl bei Kopien als auch beim Gulasch. Wenn eine peinliche Stille entstand, prostete er einfach zum xten mal allen zu – „the more, the better“.

Nach dem Essen kam der Punkt, vor dem ich persönlich ein bisschen Angst hatte. Mr. Johnson, ein anderer Lehrer, hatte nämlich behauptet, die Gastgeber müssten in China immer eine kleine Performance einlegen. Ihm schwebte dabei eine kleine Tanzeinlage vor. Julia und ich sangen lieber „Auf uns“. Das war echt witzig und brach das Eis zwischen den Lehrern und uns. Mr. Liu Senior beteiligte sich sogar am Programm, in dem er eine Art chinesisches Gedicht mit starkem Rhythmus und Betonung vortrug. Es handelte wohl von einem Jungen, der in den Bergen einem Tiger begegnet. Ob er den Tiger besiegt hat, will Mr. Liu Senior uns aber erst beim nächsten Dinner erzählen.

Es war ein sehr schöner Abend. Von den fünfzehn Eingeladenen waren sechs Lehrer gekommen. Davor hatte uns Cathy gewarnt. Weil hier unter den einzelnen Lehrern ein so starker Wettbewerb herrscht, sitzen manche von ihnen nicht gerne miteinander an einem Tisch. Die chinesische Höflichkeit verbietet es aber, direkt abzusagen – der Gastgeber würde so ja sein Gesicht verlieren. Manchmal bin ich schon sehr froh, dass es Menschen wie Cathy gibt, die diese chinesischen Verhaltensmuster für uns „übersetzen“ – es ist nämlich gar nicht so einfach, immer herauszufinden, was wirklich gemeint ist!

Am Ende des Dinners meinte Miss Ma zu uns: „We think that you are excellent.“ Wenn das kein guter Anfang ist, was dann?

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Jana (Sonntag, 20 September 2015 11:35)

    Im Nachhinein ist das alles ziemlich witzig, was? :D
    Ist das Dinner denn gut geworden? Ich hätte nie gedacht, dass ihr so viele Leute zu euch einladen könntet!

  • #2

    Inge (Sonntag, 20 September 2015)

    Ich habe mich jetzt auch gebildet. Interessant eure Infos. Danke dafür. Auch an deine Mitfreiwilligen, auf deren Seiten ich ebenfalls gestöbert habe.