Reisefieber

Hinter mir liegt die intensivste, längste und fantastischste Reiseerfahrung meines bisherigen Lebens: Wie vorher angekündigt, war ich die letzten sieben Wochen mit dem Rucksack kreuz und quer durch China unterwegs. Während ich mich in den Jiuquan-/Unterrichts-Alltag zurücklebe, möchte ich euch teilhaben an dieser Zeit - auf

Hainan (海南): Sommer, Sonne, Sonnenschein

Das erste Ziel meiner Reise war die südchinesische Tropeninsel Hainan. Nach achtzehn Stunden Bahnfahrt, Flug und meinem ersten nächtlichen Motorradtaxi-Erlebnis kam ich übermüdet, aber aufgeregt in meinem Hostel in der Provinzhauptstadt Haikou an.

Hainan hat blaues Wasser, kleine Fischerdörfer, Touristenrummel, abgelegene Strände, Regenwald und vor allem angenehm warmes (manchmal heißes) Wetter auch im Januar. Allein unterwegs zu sein, hat vor allem einen Vorteil: Man lernt schnell Leute kennen! Und weil ich ja in einem mir immer noch oft fremden Land lebe, kann ich von jedem dieser Menschen ganz viel lernen und mitnehmen. Ich weiß jetzt also, wie man Hühnerfüße richtig isst und wie Studenten an chinesischen Unis so leben, habe mir Lebensgeschichten en masse angehört und immer jemanden gefunden, der mir mit unglaublicher Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit den Weg gezeigt oder erklärt hat.

Shilin (石林) bei Kunming (昆明): Der Steinwald

Eigentlich wollte ich nur kurz in Kunming übernachten und am nächsten morgen direkt weiter, aber kurzfristig verschob sich das Zusammentreffen mit den anderen um einen Tag. Das kam mir eigentlich ganz gelegen, denn so konnte ich an einem Tag den Steinwald in Shilin erkunden. Auf einem riesigen Areal "wachsen" dort unzählige Felsbrocken aus dem Boden. Mit neu gefundenen Bekanntschaften zwängte ich mich also stundenlang zwischen dem Gestein hindurch, verlor mich in dem Geflecht aus kleinen Pfaden und kraxelte zwischen Felsen hin und her.

Yuanyang (元阳): Reunited

In Yuanyang bei den berühmten Reisterassen traf ich auf den größten Teil der anderen Freiwilligen. Das Wiedersehen fühlte sich an, als sei ich statt zehn Tagen zehn Wochen allein gereist! In den folgenden Tagen wanderten wir durch die malerische Reisterassen-Landschaft, sahen winzig kleine Dörfer und bewunderten die Menschen, die diese Menge an Terassen in die Berge hineingearbeitet hatten.

Kunming (昆明): Winter Conference und Zwischenseminar

Von Yuanyang aus fuhren wir mit dem Bus zurück nach Kunming, um dort an der Winterkonferenz unser chinesischen Organisation, der Amity Foundation, teilzunehmen. Dort trafen wir einige alte Bekannte wieder, die wir schon beim Jubiläum in Nanjing kennengelernt hatten. Die Konferenz bestand eigentlich aus einem Tag, an dem wir sehr interessanten Vorträgen über das chinesische Schulsystem und den Einfluss des Konfuzianismus auf die chinesische Gesellschaft zuhören konnten, und einem "Field Trip": Alle Konferenz-Teilnehmer waren dazu eingeladen worden, sich eins der Projekte von Amity vor Ort anzuschauen. Die Reise nach Cangyuan, wo Amity in Dörfern Mikrokredite vergibt, erforderte einen halsbrecherischen Flug zu einem ultrakleinen Provinzflughafen und eine lange Busfahrt durch kurvige Bergstrecken. Die Anfahrt lohnte sich aber: Ganz in der Nähe von Laos und Myanmar erlebten wir ein ganz anderes Gesicht Chinas. 

Nach der Winter Conference fand in Kunming auch direkt unser Zwischenseminar statt. Es wurde von Thomas Paulsteiner, dem China-Zuständigen für die andere Entsendeorganisation MEW, und Martin Krieg vom Dachverband EMW geleitet. Während dieses Seminars reflektierten wir geballt: Wie wir die chinesische Kultur wahrnehmen, wie wir das letzte halbe Jahr erlebt haben, wie wir von anderen wahrgenommen werden, was unsere Position in der Gruppe ist und was wir uns für die zweite Hälfte des Freiwilligendienstes vornehmen. Dadurch ist mir persönlich noch einmal vieles klarer geworden und ich bin noch ein Stück dankbarer geworden für die Möglichkeiten, die dieses Freiwilligenjahr mir bietet. Einziger Tiefpunkt unserer Zeit in Kunming war, dass fast alle Freiwilligen in dieser Zeit krank wurden. Kaum war das auskuriert und unser offizielles Programm vorbei, machten wir uns auf den Weg nach

Dali (大理): Szeneort und Backpackerparadies

Eigentlich war geplant, von Kunming aus nach Lijiang zu fahren. Aber schon früh auf der Reise hatten wir gehört, dass Lijiang teuer, touristy und überlaufen sei und uns entschieden, stattdessen lieber ins nahe Dali zu fahren.

Dali ist eine von den vielen alten Städten Chinas, die in den letzten Jahren erst abgerissen und dann komplett neu wieder aufgebaut wurden - auf alt getrimmt. Das Ergebnis ist ziemlich hübsch; das eigentlich Schöne an Dali ist aber die relaxte, internationale Atmosphäre (nach einem halben Jahr mal wieder richtig Brötchen mit Marmelade in einer richtigen Bäckerei frühstücken zu können...!). Vor allem berühmt ist Dali aber für seine Bananenpfannkuchen.

Einige von uns hatten früher auf der Reise einen in Dali lebenden Deutschen kennengelernt. Mit dem fuhren wir in Dalis heiße Quellen und verbrachten dort einen total entspannten Tag. Als wir zurück ins Hostel kamen, stellte sich allerdings heraus: Der Strom war im kompletten Stadtteil ausgefallen! Also froren wir (die Heizdecken funktionierten ohne Strom natürlich nicht...) im Dunkeln und wärmten uns beim Lagerfeuer im angrenzenden Hostel.

Chengdu (成都): Pandas!!!

Nach Chengdu nahmen wir einen Zug, den wir leider etwas zu spät gebucht hatten, um noch eine Liege zu ergattern. Die Konsequenz: Siebzehn Stunden sitzen. In Chengdu angekommen, waren wir deshalb alle etwas angeschlagen und mussten uns erstmal ausruhen. Abends waren wir Hot Pot essen - ein Gericht, das angeblich in Chengdu am schmackhaftesten, aber auch am schärfsten ist (trauten uns dann aber doch nicht an die superscharfe Variante heran...)

Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg zu den Pandas. In Chengdu gibt es nämlich eine Zuchtstation, an der Besucher - wie in einem Zoo - echte Pandas beobachten können. Die waren echt knuddlig, aber wenig aktiv - die meisten dösten und aßen im Wechsel. Dabei vernichteten sie ziemlich große Mengen an Bambus! Sie schienen auch gar nicht wahrzunehmen, dass sie währenddessen von der Seite aus beobachtet wurden. Nur ein Babypanda hangelte sich, als ob er die Aufmerksamkeit genieße, von Zeit zu Zeit am Baum entlang und starrte sonst sein Publikum an.

Leshan (樂山): Großer Buddha und Wahnsinnsköche

In Leshan waren wir nur etwas mehr als einen Tag, um uns den Großen Buddha anzusehen - der größte sitzende Buddha der Welt, dessen Ohren allein sieben Meter hoch sind. Steht man zu seinen Füßen, reicht man gerade bis zu seinen Zehennägeln.

Der Buddha steht am Ufer eines breiten Flusses, der mit seiner starken Strömung früher sehr gefährlich war. Im Jahr 713 begann deshalb der Mönch Haitong damit, den riesigen Buddha aus dem Stein zu hauen - er sollte die Strömung beruhigen. Die Strömung wurde wohl tatsächlich weniger stark, nachdem der Buddha fertiggestellt war. Ob das an dessen Kräften oder an der Menge an Bauschutt lag, die in dieser Zeit in den Fluss gekippt wurde - darüber ist man sich nicht ganz einig.

Leshan hatte aber noch mehr zu bieten als den Buddha: Essen! Wir fanden einen Koch, der in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit eine Unmenge an verschiedenen Gemüsesorten zubereiten konnte. Dabei setzte er jedes Mal buchstäblich die Wokpfanne in Flammen.

Drei Schluchten (三峽): Kreuzfahrt auf dem Jangtse

Von Chongqing aus bestiegen wir dann ein Schiff, das uns drei Tage lang über den Jangtse durch die berühmten drei Schluchten fahren sollte. Leider fuhr zu dieser Zeit nur ein einziges Touristenboot die Strecke ab, sodass wir auf einem ziemlich teuren Kreuzfahrtschiff als jüngste Ausländer endeten. Der Blick auf die drei Schluchten war atemberaubend. Auch wenn ich während dieses Reiseabschnitts feststellen konnte, dass Kreuzfahrten echt nicht mein Ding sind, war es doch schön, mal wieder in einem ganz weichen Bett zu schlafen und sich beim Buffet regelmäßig richtig vollschlagen zu können.

Am Ende konnten wir uns sogar den Drei-Schluchten-Staudamm, das riesige und umstrittene Stauprojekt der chinesischen Regierung, ansehen. Für dessen Bau und die anstehende Flutung großer Landstriche wurden über 1,4 Millionen Menschen zwangsumgesiedelt, 13 Städte und 1500 Dörfer versanken.

Xi'an (西安): Menschenansturm und Terrakottakrieger

In Xi'an kamen wir am ersten Tag des chinesischen Frühlingsfests an. Die Nacht über war geböllert worden ohne Ende, und dementsprechen war der Smog-Index Xi'ans an diesem tag über 500. Ein weiterer Nachteil des Reisens während dieses Fests: Alle Chinesen haben frei und viele nutzen diese Zeit anscheinend für einen Ausflug - die berühmte Muslimische Straße war völlig überfüllt. Ich lernte: Höflichkeit bringt nichts in solch einer Situation, und Vermeidung von Körperkontakt funktioniert sowieso nicht. Man schiebt und drängelt also am besten einfach mit, um so schnell wie möglich von A nach B zu kommen.

Auch die Terrakotta-Armee, eine Sammlung riesiger Keramik-Kämpfer samt Ausrüstung und Pferden, die dem ersten Kaiser von China, Qin Shi Huang, um 210 vor Christus mit ins Grab gegeben wurden, war hoffnungslos überlaufen. Beeindruckend war sie trotzdem: Jeder einzelne Krieger hat eigene Gesichtszüge. Figur, Kleidung und Frisur passen zu seinem Status. Die Hersteller dieser gewaltigen Armee wurden damals gemeinsam mit dem Kaiser lebendig begraben.

Xi'an gefiel mir aber nach und nach immer besser, als wir eine kleinere, weniger bekannte Straße des Muslimischen Viertels entdeckten. Hier pulsierte auch das Leben, aber nicht das touristische; und es gab köstliches Muslimisches Brot zu kaufen.

Pingyao (平遙): Eine echte Altstadt

In Pingyao waren wir vor allem für dessen schöne, nicht nachgebaute (!) Altstadt und verbrachten zwei entspannte Tage damit, durch die Gassen zu schlendern (und, in meinem Fall, eine ausgewachsene Erkältung auszukurieren).

 

 

Datong (大同): Buddha links, Buddha rechts, Buddhas überall

Spätestens in Datong wurde klar: Es war ein Fehler gewesen, keine warme Mütze, keine Handschuhe und keine Winterjacke mitzunehmen. Bei minus dreizehn Grad trug ich tagsüber quasi alles, was der Rucksack hergab, übereinander. Das Frieren lohnte sich aber: Wir besuchten die Yungang-Grotten. Vor 1500 Jahren begannen Mönche hier, über zweihundert buddhistische Grotten in den Berg zu schlagen und wunderschön auszugestalten. In den teils farbenfrohen Grotten reiht sich Buddha an Buddha an Buddha an Buddha an Buddha an Buddha an Buddha...

Beijing (北京): Hauptstadt mit 1000 Gesichtern

Beijing war unser letzter Stopp und viel zu viel, viel zu groß, um das alles zu beschreiben. Deswegen werde ich mich hier darauf beschränken, ein paar besonders eindrucksvolle Erlebnisse aufzuzählen: Wir haben Mao Tse-Dongs komplett konservierten Leichnam besucht - für die anwesenden Chinesen schien das eine religiöse Dimension zu haben - sind in den hutongs, den kleinen, verwinkelten, traditionellen Gassen, herumspaziert, haben uns im Künstlerviertel 798 inspirieren lassen und haben die Größe des Tiananmen-Platzes bestaunt. Beijing hat so viele Viertel und dementsprechend viele Gesichter! Da wären die hutongs, in denen man sich verlaufen kann und sich das alte Peking fast vorstellen kann. Das Hochhaus-Viertel Guomao, wo man vom 80. Stock des China World Trade Centers einen atemberaubenden Blick hat. Die Touristenschwärme in der verbotenen Stadt und am Sommerpalast. Das extreme Polizeiaufgebot am Tiananmen-Platz. Regierungskritische Kunst. Ein Starbucks an jeder Ecke im Diplomateniertel Sanlitun. Ganz normale chinesische Nudelläden in der Straße unseres Hostels.

Sehr krass ist mir auch der Unterschied zwischen der riesig großen Metropole Beijing, wo man alles am besten per U-Bahn erreicht und waiguoren (Ausländer) sowie importierte Produkte an jeder Straßenecke sieht, und unserer provinziellen Kleinstadt Jiuquan aufgefallen.

Nach einer überraschend angenehmen 32-Stunden-Zugfahrt kamen wir schließlich wieder in Jiuquan an - den Rucksack etwas voller als noch Wochen zuvor und mit vielen neuen Erfahrungen und Erlebnissen im Gepäck.

China ist, das habe ich gelernt, ein so riesiges und vielfältiges Land! Davon konnte ich während dieser Reise nur einen Bruchteil sehen. Aber ich habe einen Eindruck bekommen vom kulturellen und ethnischen Reichtum dieses Landes - einen Eindruck, den ich hoffentlich ein klein wenig an euch weitergeben konnte.

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Kommentare: 1
  • #1

    Inge (Montag, 07 März 2016 23:29)

    Klasse, hat Spaß gemacht, den Reisebericht zu lesen.